Die Burg Rocca Maggiore ist jene Sehenswürdigkeit Assisis, die von jeder Entfernung und jedem Standort im Tal aus zu sehen ist. Sie beherrscht und überragt den Hügel von Assisi, umgeben von einer reichen Vegetation, die nachts einen dunklen Streifen als Kontrast zu den Lichtern der Stadt entstehen lässt und die Burg vom Rest trennt, sodass sie beinahe im Sternenhimmel zu schweben scheint. Je näher man der Burg kommt, nimmt man ihre schlichte und starre Ansehnlichkeit war, die daran erinnert, dass Assisi – die Stadt des Friedens und der Spiritualität – eine verfluchte Seele in ihren Erinnerungen verbirgt. Die Vergangenheit von Assisi war durch ständige Kriege, Volksaufstände, Hungersnot und Pest gekennzeichnet. Die Burg ist heute das direkteste und maßgeblichste Zeugnis dafür.
Die ersten sicheren Beweise gehen auf das 12. Jahrhundert zurück, als der Erzbischof von Agonza diesen Ort von strategischer Bedeutung verwendete, um die Festung zu errichten, die Federico Barbarossa beherbergte, und so die Macht des Kaisers den Gemeindebehörden, die damals in Mittelitalien entstanden, zum Trotz zu festigen. Die Burg bot auch Friedrich II. aus dem Adelsgeschlecht der Staufer Unterschlupf, dem größten und strahlendsten Herrscher, den das germanische Geschlecht je gesehen hatte, auch wenn er damals noch en Kleinkind war und von seiner Mutter Konstanze von Sizilien der Kaiserin von Urslingen, Ehefrau des Herzogs von Spoleto und Comes von Assisi Corrado, Vertrauter des Schwäbischen Monarchen, anvertraut wurde. Friedrich war nur vier Jahre alt, als sich die Einwohner Assisis auf Drängen des Papstes Innozenz III. hin auflehnten und die Stadt von der “fremden” Herrschaft befreiten.
Fast ein ganzes Jahrhundert lang blieben das Blut und die Erinnerungen dieser schrecklichen Ereignisse auf den Ruinen der Burg, die teilweise zerstört und nicht mehr in Verwendung war, festgetrocknet. Die Gemeindeverwaltung übersiedelte tatsächlich etwas weiter hinunter, in die Räumlichkeiten, wo sich heute der Palazzo del Capitano del Popolo und der Stadtturm Torre Civica erheben, bis der Schatten einer neuen Bedrohung am Horizont erschien. Diesmal ging die Gefahr von Osten, von der Person Federico da Montefeltro, Herzog von Urbino, und seinen verbündeten Ghibellinen aus, unter denen sich auch ein Einwohner Assisis befand. Er hieß Muzio Brancaleoni und seine Mitbürger bezeichneten ihn als einen der listigsten und gnadenlosesten Feldherren der Geschichte der Stadt. Muzio fügte sich zusammen mit den Montefeltro, den Visconti, Herrschaften aus Mailand, und mit den Scaligern, Herrschaften aus Verona, die Assisi als eine Festung gegen die von den Welfen geprägte und mächtige Stadt Perugia nutzen wollten, in die Allianz der Ghibellinen ein. Dies geschah in den ersten Jahrzehnten des 14. Jahrhunderts, denn damals erreichte die althergebrachte Rivalität zwischen Assisi und Perugia ihren gewaltbereitesten Zeitabschnitt. Um die drückende Rivalität mit den Einwohnern Perugias fortzuführen, griff Muzio auf unsagbare Taten zurück, darunter Vandalismus, Hinrichtungen und – hauptsächlich – der Verkauf des Schatzes aus der Basilika S. Francesco (Basilika zum Hl. Franziskus), der ihm die Exkommunikation sowie den unvergänglichen Hass seiner Mitbürger einbrachte.
Nachdem die Macht nach der Zeit Muzios wieder an den Papst übergeben wurde, zeigte sich die Burg wie auch Assisi im Allgemeinen zerstört.
Nach einigen friedvollen Jahrzehnten, als der Zeitpunkt für den Wiederaufbau der Stadt gekommen war, keimten die Spannungen zwischen Welfen und Ghibellinen wieder auf und der spanische Kardinal und Feldherr Egidio Albornoz, der sich wie fast alle Kirchenherren zur damaligen Zeit mehr für Krieg als für Frieden interessierte, machte die Burg zu einem Teil seiner kolossalen Arbeiten zur Befestigung der päpstlichen Ländereien. Neben den ex-novo hergestellten Festungen , darunter die imposante Burg Rocca Albornoziana in Spoleto, ordnete er eine Reihe an Renovierungs- und Wiederherstellungsarbeiten an den alten Festungen an, um ein Verteidigungssystem entstehen zu lassen, das die gesamte Ebene überragte. Die Stadtmauern von Assisi wurden befestigt und unweit von der Burg wurde eine zweite Festung errichtet, die Rocca Minore oder Rocchicciola, die Erzählungen zufolge durch einen langen Stollen im Inneren der Mauern mit der großen Schwester verbunden ist.
Dank der Befestigungsarbeiten wurde Assisi einmal mehr zu einem strategischen sowie von den damaligen Söldnern und Feldherren, die für die eine oder die andere Seite kämpften, geschätztem Ort. Das Verteidigungssystem von Albornoz stürzte jedoch ein Jahrhundert später unter den Angriffen von Niccolò Piccinino, dem Metzger aus Perugia, der zu einem der größten Glücksmänner seiner Zeit wurde, ein. Seine Heldentaten wurden selbst von Leonardo da Vinci verehrt. Er belagerte nicht zuletzt auch dank der Hilfe eines betrügerischen Ordensbruders, der ihm einen geheimen Weg verriet, um die Mauern im Inneren des alten, römischen Aquädukts zu überqueren, im Jahr 1442 Assisi und legte die mittlerweile wieder unter der Herrschaft der Ghibellinen sowie unter dem Schutz des Herren Pesaro Alessandro Sforza stehende Stadt in Schutt und Asche.
Die Berichte aus dieser Zeit erzählen, dass Niccolò, zu dessen besten Eigenschaften Nachsicht und Mitleid nicht gehörten, von der Schönheit der Stadt so stark beeindruckt war, dass er ein gewaltiges Angebot (15 Millionen Gulden!) der Gemeinde Perugia, um Assisi dem Erdboden gleich zu machen und den Feindseligkeiten damit endgültig ein Ende zu setzen, nicht annahm. Die Kämpfe und Belagerungen gingen in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen während des gesamten folgenden Jahrhunderts weiter, um danach schrittweise an Intensität zu verlieren, als sich die Macht des Papstes in Form eines der mächtigsten Staaten der Halbinsel festigte und Assisi seine strategische Position im Gebiet verlor.
Das letzte Restyling der Burg wurde von Papst Paul III. im Jahr 1535 veranlasst, der ein Prälat der Schwachen war. Da er den zänkischen Stadtbewohnern Umbriens nicht traute, ließ Paul III. die Wachttürme verstärken und den runden Bergfried errichten, der imposant hervorragt, sobald man in den steilen Weg nach oben einbiegt, der sich ausgehend vom Tor Porta Perlici aus entlangwindet: Nur ein Auftakt für sein grandioses Werk zur Verteidigung in Umbrien – die Festung Rocca Paolina.
Während des darauffolgenden Zeitabschnittes verlor die Festung nach und nach ihre Verteidigungsfunktion. Sie wurde zuerst zur Residenz der Schlossherren, die zur Kontrolle des Gebietes abgeordnet waren; in weitere Folge wurde die Festung als Gefängnis und später als Lager genutzt.
Die Burg kann innen besichtigt werden. Auch wenn sie heute nüchtern erscheint und nur noch wenige Gegenstände beherbergt, können über die Schlitze die kahlen Wände und engen Gänge wahrgenommen werden, sowie das Leiden und der Schmerz, den die Menschen an diesem Ort des Krieges verspürt haben. Der Eingang liegt in der Nähe des Schutzwalls aus dem 16. Jahrhundert, im Inneren befindet sich ein Gang mit einem Boden aus Klinker aus dem 14. Jahrhundert; daran grenzt der Senkkasten, in dem sich die Arbeitsräume befanden. Im Inneren des Bergfriedes, der als Wohnraum für den Burgherren diente, befinden sich fünf Räume übereinander, die über eine Wendeltreppe miteinander verbunden sind.