Klara lag müde und schwach, jedoch glücklich da. Sie wusste, dass der Zeitpunkt gekommen war, um das irdische Leben hinter sich zu lassen, und war gerührt. Ihr Herz schlug freudig, denn schon bald würde sie in die Ewigkeit gleiten. Doch dann kam auf einmal Traurigkeit auf und sie dachte an all jene, die ihre letzten Momente in Angst lebten, weil sie ein bewegtes und sündhaftes Leben geführt haben und nicht einmal am Sterbebett ihre Ruhe finden konnten. Es machte sie traurig, dass sie nicht mit all diese Menschen sein konnte, um sie zu erlösen und ihnen dabei zu helfen, den Glauben wieder zu finden.
Die Schwestern, die sie ein Leben lang begleitet hatten, standen wie in Trance in der kleinen Zelle des Konventes San Damiano (zum Hl. Damian) um sie herum ohne ein Wort zu verlieren. Um diese Situation zu beschreiben gibt es keine geeigneten Worte. An diesem warmen Sommertag herrschte im Konvent San Damiano eine irreale Ruhe. Die Vögel, die Hunde, die Tiere auf den Höfen, ja sogar der Wind schien verstummt zu sein und sich auf das Warten und die Andacht zu konzentrieren. Klara durchlebte auf ihrem ärmlichen Bett alle Kämpfe, die sie angeführt hatte, erneut – zuerst zusammen mit Franziskus zur Bestätigung des Franziskanerordens, und danach, als ihr geliebter Meister das irdische Leben hinter sich gelassen hatte, alleine zur Anerkennung des Frauenordens. Sie konnte einfach nicht vollständig zufrieden sein. Während jahrelanger Anstrengungen war es ihr nicht gelungen die Franziskus-Regel für Frauenklöster durchzusetzen. Der Papst, an den sie sich mehrmals wendete und den sie mehrmals anflehte, wollte ihr niemals Gehör schenken. Ein Kummer, der ihr friedliches Hinscheiden störte und dafür sorgte, dass sie sich unvollkommen fühlte.
Plötzlich wurde die irreale Ruhe in der Zelle durch einen dumpfen Lärm in der Ferne unterbrochen. Sobald das Geräusch lauter wurde war Pferdegalopp sowie das trockene und hölzerne Gepolter einer Kutsche zu erkennen, auf den zerrütteten Wegen zum Konvent San Damiano. Als sich das Gepolter in der Nähe des Konventes befand, war ein lautes Schreien zu vernehmen, das einige Minuten lang andauerte und anschließend schlagartig endete. Die Tür der Zelle von Klara öffnete sich und an ihrem Bett stand Papst Innozenz IV. persönlich. In der Hand hielt er ein Stück Pergamentpapier, von dem zwei Bleisiegel herunterhingen. Das war das Schriftstück Solet Annuere Sedet, mit dem der Papst ihre Regel für das Kloster vollständig anerkannte und ratifizierte. Der Papst stattete dem Ort einen seelsorgerischen Besuch ab und wollte der Ordensschwester das Schriftstück persönlich übergeben. Als er ihr dieses überreichte erkannte er ihren Gesundheitszustand und freute sich darüber, dass er noch rechtzeitig angekommen war und nahm Abschied, indem er allen seinen Segen erteilte. Dies geschah im August 1253. Unmittelbar danach verstarb Klara. Ihr Körper wurde zu einer Prozession getragen und unterhalb der Kirche Chiesa S. Giorgio (zum Hl. Georg) in der Nähe der Stadtmauern sowie der Stadtbewohner begraben.
Im Jahr 1893 fand die Äbtissin Matilde Rossi beim Betten des einige Jahrzehnten zuvor ausgegrabenen Leichnams der Heiligen zwischen den Kleidern das Schriftstück, das anschließend in der Krypta der Basilika Santa Chiara als Reliquie verwahrt wurde.
Der Bau der Basilika begann im Jahr 1257, zwei Jahre nach der Heiligsprechung von Klara. Die Pläne wurden so erstellt, dass die kleine Kirche San Giorgio Platz in der großen Basilika findet, denn in ihr wurden zuerst auch die sterblichen Überreste von Franziskus von Assisi aufbewahrt und in dieser Kirche wurde er auch heilig gesprochen. Im Jahr 1263 wurde der zweite Orden des Hl. Franziskus, der Orden der Klarissen, allgemein anerkannt und im Jahr 1265 übersiedelten nach der feierlichen Einweihungszeremonie der Basilika, an der auch Papst Clemens IV. teilnahm, die Mitschwestern von Klara dorthin. Sie hatten zuvor vierzig Jahre im Konvent San Damiano zugebracht.
Der architektonische Baustil ist jenem der Basilika San Francesco sehr ähnlich, die im selben Zeitraum entstand. Die am deutlichsten sichtbaren Unterschiede zur „Schwesterbasilika”, die sich am gegenüberliegenden Ende der Altstadt erhebt, liegen in der Dekoration der Außenfassade aus typischen weißem und rosafarbenem Stein vom Berg Monte Subasio sowie im Vorhandensein von Strebebögen an der Seite. Sie wurden nachträglich hinzugefügt, um dem Gebäude Stabilität zu verleihen und verleihen der Kirche ihr unvergleichliches Erscheinungsbild. Der Glockenturm, der direkt hinter dem Hauptgebäude der Kirche hervorragt, ist das höchste Gebäude in Assisi.
Beim Betreten der Kirche erblickt man an den Seiten des Schiffs die Kapelle Cappella di S. Agnese (zur Hl. Agnes), Bluts- und Geistesschwester von Klara, sowie die Kapelle Capella di S. Giorgio (zum Hl. Georg), also das, was vom kleinen Kirchlein, in dem die Leichname der beiden wichtigsten Persönlichkeiten Assisis untergebracht waren, übrig geblieben ist. Über dem Altar hängt das Kreuz des Hl. Damian, dessen Geschichte die Geschichten der Heiligen unauflöslich miteinander verbindet. Dieses Kreuz wurde vom Konvent San Damiano in die Basilica Santa Chiara gebracht, als die Ordensschwestern dorthin übersiedelten, da es einen besonderen Wert hatte. Dieses Kreuz sprach als erstes Kreuz zum jungen Franziskus, als er den Herrn um Hilfe bat, da er nicht wusste, was er aus seinem Leben machen sollte. „Vade Fransisce, repara domum meam!“ („Franziskus, geh hin und stelle mein Haus wieder her!“) lautete die Antwort, die der junge Mann nicht vollständig verstanden hatte. Erst später verstand er, dass das „Haus” des Herrn, das er wiederherstellen sollte, nicht dieses kleine Gebäude war, sondern das Haus der gesamten Christenheit.
Das Kreuz geht auf das 12. Jahrhundert zurück, vor dem Beginn des Realismus von Giotto und Cimabue. Das, was der Maler mit dem Blick und der Position des Christus zum Ausdruck bringen möchte, ist weniger der Schmerz und das Leiden des menschgewordenen Gottes, als der Ruhm und die Größe der Geste, die er für seine Kinder zeigte. Man erzählt sich, dass das Kreuz auf eine Tafel aufgemalt wurde, die vor der Offenbarung vollkommen flach war. Als sich das Kreuz zu Franziskus wandte, löste sich der Kopf des Christus von der Tafel und streckte sich in dreidimensionaler Form – so wie wir das Kreuz heute wahrnehmen – zu Franziskus aus. In Wirklichkeit wissen wir jedoch, dass das Aufmalen von Gesichtern auf ein hervorragendes Relief eine im Mittelalter sehr weit verbreitete Kunstform war.
Im Inneren des linken Querschiffs befindet sich ein weiteres Kunstwerk, das zu den wichtigsten Kunstwerken in der Kirche gehört: die Pala di Santa Chiara (Bild der Hl. Klara). Diese Tafel entstand einige Jahre nach dem Tod der Heiligen. Auf ihr ist Klara im byzantinischen Stil mit acht Szenen aus ihrem geistlichen Leben inklusive jener Szenen, von denen wir am Beginn dieses Textes erzählen, dargestellt. Können Sie diese Szene wiedererkennen? Zusammen mit der „Schwestertafel“ der Madonna della Cortina, die sich im rechten Arm des Querschiffs befindet, sind die beiden Kunstwerke dafür bekannt, dass sie von einer einzigartigen, mysteriösen Hand eines Kunstwerkes gemalt wurden, der keine Spuren hinterließ: Maestro di S. Chiara.
Im Jahr 1850 wurde infolge des Enthusiasmus, der aus dem Fund des Grabsteins vom Heiligen Franziskus von Assisi entstand, die Exhumierung des Körpers seiner heiligen Schülerin angeordnet. Es wurde ein Stollen „in einer Tiefe von 16 Spannen unter dem Erdboden“ ausgegraben, und dort fand man den Grabstein, bestehend aus einem Sarkophag aus rohem Travertin, umrahmt von einem Streifen aus Eisen. Heute kann in den Stollen hinabgestiegen und die Krypta bestaunt werden, die rund um die Grabstätte errichtet wurde. Neben dem Grabstein, der aus einer Urne aus Kristall und einem Stein vom Berg Subasio besteht, auf dem das Reliquiar ausgebreitet ist, sowie einem Kleid der originalen Kutte, das die Reste der Heiligen enthält, kann auch ein weiterer Bereich besichtigt werden, in dem sich viele weitere Reliquien befinden, darunter auch das ersehnte Schriftstück, das die Hl. Klara am Sterbebett bei sich trug. Das Dokument in Papierform wurde zugunsten seiner Aufrechterhaltung kürzlich durch eine Fotokopie ersetzt. Der originale Rahmen und die originalen Siegel sind jedoch unverändert.
Wer in dieses Ambiente hinabsteigt, wird von einer mythischen und spirituellen Atmosphäre erfasst und macht eine einmalige Erfahrung, um in einem Augenblick in die Kraft einzutauchen, mit der eine einzelne Geschichte, ein einzelnes Leben, nach acht Jahrhunderten Einfluss auf die Geschichte aller nehmen kann.