ETRUSKISCH-UMBRISCHE EPOCHE
Die Legende verbindet die Ursprünge Assisis mit Dardanos, einer mythologischen Figur, dessen Geschlecht auch die Stadt Troja gründete. Er hat der Legende nach die Stadt acht Jahrhunderte vor Rom aufgebaut, und um Athene, der Göttin des Krieges und des Wissens, zu danken, errichtete er einen Tempel in ihrem Namen. Derselbe Tempel erhebt sich noch heute auf dem Hauptplatz und obwohl sich dort nun die Kirche S. Maria sopra Minerva befindet, ist er das wichtigste Symbol aus dem klassischen Zeitalter der ganzen Stadt.
Die Asisinates waren mit großer Wahrscheinlichkeit die ersten direkten Vorgänger der heutigen Bewohner Assisis. Sie gehören zu jenen Völkern, die Plinius der Ältere in seinem Werk Naturalis Historica, das er in der Hälfte des 1. Jahrhunderts n. Chr. verfasste, zur Bevölkerung Umbriens zählte. Der Römische Historiker und Schriftsteller erklärt tatsächlich, dass die Einwohner umbriens eines der ältesten Völker Italiens waren. Assisi gehörte also dem Umbrien an, das bis zum 3. Jahrhundert v. Chr, als sie beide der Herrschaft Roms unterstellt wurden. in ständigem Kontakt und Konflikt mit dem etruskischen Perugia stand. Der Einfluss der römischen Res Publica sorgte dafür, dass die Streitigkeiten zwischen den Beiden aneinander angrenzenden und aufgrund ihrer Gestalt fast als Zwillinge zu bezeichnenden Städten einige Zeit beigelegt werden konnten. Aber die Auseinandersetzungen zwischen Perugia und Assisi hörten niemals wirklich auf und kennzeichneten die gesamte Geschichte dieser REgion, Die Römer schufen mit ihrer Weisheit nicht eine direkte Herrschaft, sondern führten die Marones, aus Umbrien stammende Amtspersonen, ein, die die Stadt in ihrem Namen verwalteten. Assisi blieb bis in die ersten Jahre des 1. Jahrhunderts v. Chr eine città foederata.
Den Spuren des vorrömischen Assisi zu folgen kann ein gleichermaßen kompliziertes wie aufregendes Abenteuer sein. Die Reste der umbrischen und etruskischen Völker wurden nach zwei Jahrtausenden immer weniger, aber dennoch gibt es eine Strecke, der man folgen kann. Sie beginnt bei der archäologischen Sammlung im Forum Romanum, im Inneren der Piazza Principale. Dort sind unter anderem Inschriften dieses Zeitalters aufbewahrt. Weiter führt das Abenteuer in das Diözesanmuseum in der Kathedrale Cattedrale di S. Rufino, wo es wunderschöne, architektonische Skulpturen zu entdecken gilt, die als Antefixe bezeichnet werden und noch heute in die Fundamente des Pfarrhauses integriert sind.
römisches zeitalter
Im römischen Assis verbreitete sich schnell das Christentum und auch die ersten Märtyrer wie etwa Rufino (Rufinus). Er war der erste Bischof der Stadt und kam im 3. Jahrhundert aus einer Region der Türkei nach Assisi, um das Evangelium zu predigen. Dabei wurde er natürlich von den Behörden behindert. Nachdem ihn der Prokonsul Aspasio entdeckt hatte, verurteilte er ihn zu schwerer Folter, um ihn anschließend mit einem Felsblock um den Hals gebunden unweit vom Ort Costano in den Fluss Chiascio zu werfen. Heute ist der Heilige Rufinus der Patron vno Assisi und von der Kathedrale, in der sich sein Grabmal, eines der schönsten und ältesten Grabmäler der Stadt, befindet.
Während der ersten Kaiserzeit musste Assisi bereits für seine wohltuende Luft in Zusammenhang mit der Heiligkeit und der Heilsamkeit des Ortes bekant sein. In der Stadt ließen sich nämlich große Gruppen an Adeligen aus der Hauptstadt nieder, die jedoch die meiste Zeit in Rom verbrachten und hier lediglich Häuser zur Herrschaft über ihr Besitztum errichten ließen. So entstand ein wahrer Urlaubsort. Ein besonderes Phänomen dieser Zeit war tatsächlich der Zustrom von Freigelassenen in die Stadt, die den Besitz in der STadt für ihre Herren verwalteten. Ein Beispiel dafür ist Publio Decimio Eros Merula, der Chirurg, Augenarzt und Wohltäter der Stadt war. Er übergab der Stadt Zuwendungen, um die Straßen pflastern und Statuen für den Herkules-Tempel anfertigen zu lassen. Darauf weist eine noch heute vorhandene Inschrift in der archäologischen Sammlung im Forum Romanum hin.
Im Gegensatz zu früheren Völkern hat die römische Bevölkerung sehr tiefe Spuren in Assisi hinterlassen. Der unterirdische Bereich unter der Piazza Principale, der Piazza del Comune und dem Forum Romanum ist in einem optimalen Zustand und kann besichtigt werden. Hier befand sich jedoch nicht die Siedlung. Sie lag viel weiter oben am Berg. Der unterirdische Bereich diente vielmehr als Pilgerort, der dem Kult des Wassers gewidmet war, das mit großer Wahrscheinlichkei taus einer Quelle direkt hinter dem Tempel entsprang. Von der Piazza nach oben gehend entdecken Sie tatsächlich alte Reste der römischen Architektur wie etwa die Außenmauer einer Zisterne, Reste eines Aquädukts, ein Theater – heute in Privatbesitz – und ein Ampihitheater. Das Amphitheater bei einem Spaziergang durch die Stadt zu finden, ist schwierig. Wenn Sie die Anordnung der Gebäude im Bereich um die Piazza Matteotti jedoch auf einer Landkarte sehen, werden Sie sofort die Position erkennen: Die Häuser erheben sich heute auf den Fundamenten des Amphitheaters und sind in der typisch elliptischen Form der römischen Architektur angeordnet.
Aber der berühmteste kulturelle Hauptdarsteller des Römischen Zeitalters ist zweifelsohne Properz, einer der bedeutendsten Dichter der Klassik. Mit großer Wahrscheinlichkeit im ländlichen Gebiet um Assisi, in der Ortschaft Collemancio, geboren, wurden seine Elegien insbesondere während des neoklassischen Zeitalters zu einem lyrischen Beispiel, das von Autoren wie Ariosto, Tasso und Goethe analysiert und wieder aufgenommen wurde. Wenn Sie noch mehr entdecken möchten, dann sollten Sie sich keinesfalls den Domus Sesto Properzio, der sich unter der Krypta der Kirche S. Maria Maggiore befindet, entgehen lassen. Dort können Sie wunderbare und uralte Fresken und Inschriften bewundern, dank denen Forscher diese Räume als das vom Dichter in seiner Jugend, bevor er nach Rom übersiedelte, bewohnte Haus identifizieren konnten.
MITTELALTER
Nach dem Fall des Reiches fallen die Betretenheit und das Mysterium, durch die das Hochmittelalter gekennzeichnet war, auch über Assisi herein. Im 5., 6. und 7. Jahrhundert werden die Beweise für den Durchzug germanischer Völker aufgrund der eingeschränkten Verwendung von Schrift und der nicht besonders haltbaren Bauweise immer weniger.
Wir wissen jedoch, dass mit dem Ende der römischen Herschaft, die üblicherweise mit dem Jahr 476 n. Chr. datiert wird, in Assisi eine turbulente und dunkle Zeit beginnt, die trotz einiger Pausen die Stadt bis zum Aufkommen der Vereinigung Italiens zermürbt. Die Belagerungen und Eroberungen wechseln von Anfang an seit dem anfänglichen Streit zwischen den germanischen und den byzantinischen Völkern pausenlos ab.
Nach der gotischen Garnison von Theoderich dem Großen, die anschließend unter den Einfluss des byzantinischen Generals Belisar gelangt, wird Assisi 545 von den Ostrogoten von Totila gestürmt, um im Jahr 552 mit Narses wieder an die Byzantiner überzugehen. Am Ende des 6. Jahrhunderts beginnt dank der Longobarden mit Alboin und durch den Anschluss der Stadt an das Herzogtum Spoleto ein Zeitabschnitt der als Pause angesehen werden kann. Das Longobardenreich fällt zwei Jahrhunderte später noch unter die Schläge des imposanten Heers Karls des Großen. Der Durchzug der Franken und des neuen Karolingerreichs, der in der Stadt keine Spuren hinterlassen zu haben scheint, zeigte sich deutlicher in den Schrecken außerhalb der Stadt, wo der Zeitraum kontinuierlicher Krieger die Regierenden dazu zwang die Verteidigung der Stadt mit Kastellierungen aufrecht zu erhalten. Viele der Burgen im Tal und die wunderschönen Dörfer, die sich rund um diese Burgen gebildet haben, gehen tatsächlich auf diesen Zeitabschnitt zurück. Die Burgen Torchiagina, Tordandrea, Castelnuovo, Sterpeto und Petrignano sind nur einige der Siedlungen, die sich während dieser Zeit entwickelt haben und die allen voran die Stadt verteitigten.
Das Burgensystem hielt bis 1174 stand, als die Truppen des deutschen Kaisers Friedrich Barbarossa, nachdem sie einen Großteil Norditaliens eingenommen hatten, in Assisi einfielen. Er, der aus einer Familie stammte, die sich mit der Errichtung von Burgen beschäftigte (sein Enkel, Friedrich II, ließ das Castel del Monte errichten), ordnete den Bau der Rocca Maggiore auf den Überresten aus dem Römischen Zeitalter für einen Kurzaufenthalt an.
DIE KOMUNEN
Aber der Widerstand der Rocca war nichts gegen die Kräfte, die sich zu der Zeit in Italien entwickelten. Auf der einen Seite stand Papst Innozenz III. mit seiner Expansionspolitik in Mittelitalien, au fder anderen Seite die Lebendigkeit der Gemeindeinstitutionen, die sich im gesamten Land entwickelten. Im Jahr 1198 wurde die Kaiserliche Macht durch einen Volksaufstand abgesetzt und damit in Assisi eine Gemeindeverwaltung aus Konsuln und dem Capitano del Popolo (Volksanführer) eingerichtet, selbstverständlich nicht ohne, dass die kirrchlichen Institutionen dabei ihre Finger im Spiel hatten. Zusammengefasst lässt sich sagen, dass hier der unendlich lange Kampf zwischen den Fraktionen der Guelfen, unterstützt vom Papst, und der Ghibellinen, Unterstützer des Kaiserreiches, in der Stadt begann. Mit derselben Dynamik, mit der sich die beiden Fraktionen häufig gegenüberstanden, taten dies auch die beiden Städte Perugia und Assisi: einmal wurde die eine Stadt von den Guelfen und die andere von den Ghibellinen beherrscht, ein anderes Mal war es wieder anders herum.
In der Zwischenzeit wurde zwischen 1181 und 1182 in einem kleinen Haus im Stadtzentrum, wo sich heute die Chiesa Nuova befindet, Giovanni di Pietro di Bernardone geboren. Er war der wichtigste Mann in Assisi und einer der berühmtesten Männer der westlichen Welt. Wenn Ihnen der Name nicht bekannt vorkommt, dann liegt dies am Namen der Person selbst, der sich zu einem späteren Zeitpunkt in Franziskus von Assisi änderte.
In diesem Zusammenhang wäre es unmöglich vom Leben und von den Tätigkeiten des Mannes zu berichten, der die katholische Kirche durch die Wiederentdeckung von Werten wie Frieden, Armut und Brüderlichkeit revolutionierte und mit großer Wahrscheinlichkeit vor einer unendlichen Krise bewahrte. Es gibt keine bessere Art Franziskus kennenzulernen, als seine Stadt zu erkunden. Jede Kirche, die Sie besuchen, jede Straße, durch die Sie gehen, jedes Kunstwerk, das Sie bestaunen: Überall werden Sie einen kleinen Teil mehr von der Erzählung dieser außergewöhnlichen Persönlichkeit finden. In den Legenden und Überlieferungen seiner Heiligengeschichte entdecken Sie die Heiligkeit und die Bedeutung der Werte, durch die er sich auszeichnete in den Festlichkeiten und historischen Zeugnissen finden Sie die Schönheit und die Einfachheit eines so gewöhnlichen Mannes, der uns allen ähnlich ist.
Nach seinem Tod im Jahr 1226 und mit seiner Heiligsprechung, die zwei Jahre später erfolgte, erlebte die Stadt der Engel ihre künstlerische und kulturelle Blütezeit. Auf einmal füllten sich die Straßen mit Pilgern aller Länder und sozialen Schichten, von arm und aussätzig über den Prinzen bis hin zum Kardinal. Maler, Bildhauer, Baumeister und Künstler jeder Art kommen aus aller Welt und lassen eine Schmiede verschiedener Kulturen und Kunststile entstehen. Die orte, die wir heute mit offenem Mund bestaunen, wären nicht so wunderbar geworden, wenn ein Mann, unmittelbar nach dem Tod von Franziskus, sich nicht eingesetzt hätte, um sie mit derartiger Prakt zu errichten. Frate Elia, Leiter des Franziskanerordens, den der Heilige gegründet hatte, kämpfte für die Errichtung von zwei Kirchen, die Franziskus gewidmet sind: die Basilica Inferiore und die Basilica Superiore, die seiner Heiligkeit würdig sind. Die Gebote der Bescheidenheit, Armut und Enthaltsamkeit, die Franziskus gepredigt hatte und die sein Orden einhielt, riefen eine lange Debatte über die Art und Weise, auf die die in seinem Namen errichteten Gebäude gebaut und eingerichtet werden sollten. Wenn sich damals Elia nicht eingesetzt hätte, dann würden sich kleine und anonyme Gebäude ohne Dekoration und ohne wertvolle Gegenstände im Inneren, wie es die Regel besagt, an der Stelle der Basiliche di S. Francesco, der Basilica di S. Chiara, der Basilica di S. Maria degli Angeli und vieler anderer wunderbarer und meisterhafter Gedenkstätten für Franziskus stehen. Die Dinge nahmen jedoch ihren eigenen Lauf. Sie können sich einen Spaß machen, indem sie durch die Stadt spazieren und sich die Gebäude auf die franziskanische Art und Weise vorstellen. Dabei können Sie sich fragen, ob sich die Geschichte der Stadt, Italiens und der gesamten Kirche genauso entwickelt hätte.
Nur das Leben von Franziskus konnte der Stadt einige Jahre voller Frieden und Heiterkeit verleihen. Aber sehr schnell begannen die Feindseligkeiten, der Groll und die Gewalt zwischen den Fraktionen der Stadt wieder, was zu einer nur schwer vorstellbaren Eskalation führte. Im Jahr 1319 wurde die Stadt aufgrund der Vorstöße der Ghibellinen von Muzio Brancaleoni sogar von Papst Johannes XXII. höchst persönlich exkomuniziert und ihren Einwohner war es für mehr als 30 Jahre verboten die Sakramente zu empfangen und religiös begraben zu werden. Später wurde die Stadt wieder dem Schutz des Papstes unterstellt. Dies ist Kardinal Albornoz zu verdanken, der um neue Tumulte seitens der aufständischen Ketzer die Stadtmauern und Festungen der Stadt verstärkte und unweit von der Rocca Maggiore die Rocca Minore errichten ließ. Die beiden Festungen wurden außerdem durch einen langen Gang miteinander verbunden.
Am Ende des 14. Jahrhunderts loderten die internen Kämpfe wieder auf: Die Feindseligkeiten der beiden Fraktionen, die von der Familie Nepis angeleiteten Guelfen und die von Guglielmo di Carlo (Enkel von Muzio Brancaleoni) angeführten Ghibellinen erreichten einen Punkt, an dem die Stadt wörtlich entzweit wurde – in die Parte di Sopra mit den Stadtteilen Porta Perlici, S. Chiara und S. Maria Maggiore und in die Parte di Sotto mit S. Francesco, S. Giacomo und S. Pietro. Die Trennung war derart markant, dass die Stadt für immer in diese zwei Teile unterteilt blieb. Und heute können einmal im Jahr die Emotionen dieser Tage dank des Calendimaggio erlebt werden, allerdings ohne Todes- oder Exkomunikationsgefahr!
RENAISSANCE
Nicht einmal das blühende Zeitalter der Renaissance, die tragende Periode für Kultur und Schönheit in ganz Italien, konnte die Streitigkeiten der geplagten umbrischen Stadt besänftigen. Während des gesamten 15. Jahrhunderts durch die Einfälle der rebellischen Feldherren aus Perugia geplagt, die die Stadt in mehreren Wiederholungen in Besitz nahmen und regelmäßig von den Verbündeten des Kirchenstaates wie etwa den Sforza oder den Montefeltro zurückgeschlagen wurden. Im Jahr 1398 fiel Braccio Fortebraccio da Montone mit der Absicht, später nach Perugia zurückzukehren, von wo er einige Zeit zuvor verbannt wurde, in Assisi ein. Im Jahr 1442 gelang es Niccolò Piccinino mit der Hilfe eines betrügerischen Ordensbruders die Stadtmauern zu überwinden und er zerstörte alles, was er aufd er Straße vorfand. Der Legende zufolge lehnte er von der Schönheit der Stadt geblendet 15.000 Gulden, die ihm die Gemeinde Perugia anbot, um Assisi dem Erdboden gleichzumachen, ab.
Assisi war in die Knie gezwungen, zerstört und desolat. Am Ende des Jahrhunderts begannen die Streitigkeiten zwischen den Fraktionen der Stadt gleichzeitig mit den internen Kämpfen zwischen den Familien aus Perugia erneut. Die Parte di Sopra der Guelfen unterstützte die Familie Baglioni, und die Parte di Sotto von den Ghibellinen half zur Familie Oddi. Und noch zu Beginn des neuen Jahrhunderts musste die Stadt das Gemetzel und die Zerstörung durch Valentino, Cesare Borgia, ertragen, der mit dem Vorsatz die Stadt unter die Herrschaft des Papstes zu bringen, jede Kirche skrupellos und ohne Zurückhaltung. ausplünderte.
Um sich einen Überblick über die Situation zu verschaffen, in der sich die Stadt in diesem Jahrhundert befand, reicht es aus daran zu denken, dass neben der historischen Epidemie des Jahres 1348 zwischen 1416 und 1529 gut 26 Pestilienzen verzeichnet wurden, also im Durchschnitt alle vier Jahre. Während dieser Pestilienzen waren die Einwohner der Stadt dazu gezwungen ihre Heimat zu verlassen und zu versuchen sich zwischen den Risiken und dem Elend im Umland und in den Berggebieten weiterzubringen. Andernfalls mussten sie in der Stadt zurückbleiben und probeiren, dem sicheren Tod zu entrinnen. Ab der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts wurde Assisi zu einem festen Bestandteil des Kirchenstaates und es begann eine neue Ära des Friedens, in der jedoch paradoxerweise die Armut größer war als zuvor.
DIE MODERNE
Der Zeitraum der Stabilität und des Friedens in der franziskanischen Stadt dauerte fast zwei Jahrhunderte, bis eine neue Bedrohung ganz Italien erschütterte: Napoleon Bonaparte. Zwischen dem Ende des 18. Jahrhunderts und dem Beginn des 19. Jahrhunderts wurde Assisi von den französischen Truppen eingenommen, die alle Schätze der Kirchen in der Stadt sowie viele Kunstwerke in Beschlag nahmen. Die Schlagzeilen berichten, dass alleine aus der Sakristei der Basilica di S. Francesco mehr als fünf Zentner verarbeitetes Silber geraubt wurden. In den ersten Jahren des 19. Jahrhunderts war die Stadt sehr arm und trieb weder Handel noch verfügte sie über Industriebetriebe. Zudem war sie menschenleer. Der Großteil der Einwohner war ins Umland übersiedelt, um sich mit der einzigen verfügbaren wirtschaftlichen Tätigkeit, der Landwirtschaft, über Wasser zu halten. Als ob das noch nicht genug wäre, macht ein fatales Erdbeben die Stadt im Jahr 1832 dem Erdboden gleich und zerstört die Sehenswürdigkeiten stark. Nur die Basilica S. Francesca blieb verschont. Die Kuppen der Basilica di S. Maria delgi Angeli brach ein, aber wie durch ein Wunder wurde die Porziuncola, ein besonders wertvoller Ort der Geschichte des Hl. Franziskus, nicht beschädigt. Die kulturelle und wirtschaftliche Lebendigkeit der Stadt wurde ein weiteres Mal durch ein heiliges Ereignis in Zusammenhang mit dem Franziskuskult neu entfacht: Der Fund der sterblichen Überreste von Franziskus und Klara. Im Jahr 1818 wurde auf Anordnung des Papstes Pius VII. nach 52 Nächten harter Arbeit der Körper von Franziskus unter dem Altar der Basilica Inferiore ausgegraben. Diese Neuigkeit ging um die ganze Welt und zog Millionen Pilger, Gläubige und Neugierige an, um die sterblichen Überreste des Heiligen zu sehen, die in einer Krypta unter der Basilica selbst verwahrt werden. Einige Jahre später war seine Schülerin, die Hl. Klara, die von Franziskus in Schutz genommen wurde und den Klarissenorden gründete, an der Reihe. Im Jahr 1850 wurden nämlich ihre sterblichen Überrreste in der Basilika di S. Chiara ausgegraben und zu jenen ihres spirituellen Lehrers gebracht.
DAS 20. JAHRHUNDERT
Der Ruhm, der Glanz und die Wirtschaft der Stadt erreichten ihren Höhepunkt während des Faschimus dank der Arbeit des aufgeklärten Bürgermeisters Arnaldo Fortini. Die Feierlichkeiten zum 700. Todestag von Franziskus (1926-27) und seine Ausrufung als Heiliger Patron Italiens im Jahr 1939 durch Papst Pius XII. erfreuten sich weltweiter Resonanz. Assisi erhielt einen Glanz, den die Stadt nie mehr verloren hat.
Während des Zweiten Weltkrieges wurde Assisi vom deutschen Heer eingenommen. Während des Widerstandes schienen Bombardierungen unvermeidbar zu sein und für die Wahrzeichen der Stadt hätte sich das Ende abgezeichnet. Aber ihre Schönheit und ihre Spiritualität sorgten in Kombination mit der diplomatischen Arbeit einiger Bischöfe sowie mit dem Weitblick der beiden Kommandanten, jenes der deutschen Besatzung und jenes der eintreffenden Verbündeten, sorgten dafür, dass Assisi zur „Spitalsstadt“ ernannt wurde, die nicht als Lager für Waffen und Munition verwendet und nicht bombardiert wurde. Während der deutschen Besetzung wurde die Stadt im wahrsten Sinne des Wortes von Flüchtlichen überströmt, darunter 300 Hebräer. Einige vom Bischof Giuseppe Placido Nicolini angeführte Ordensbrüder und Pfarrer verwandelten Assisi in eines der Hauptzentren des bürgerlichen Widerstandes gegen den Holocaust in Italien. Als Ordensbrüder und –schwestern verkleidet, in den unterirdischen Räumen und Kellern versteckt, als Evakuierte getarnt, mit falschen Dokumenten, wurden die nach Assisi geflüchteten Hebräer von einem großen Netzwerk der Solidarität geschützt, das sich auch über andere Gegenden Umbriens erstreckte und nicht zuletzt dank des Radfahrers Gino Bartali Kontakt zu Widerstandsgruppen in Ligurien und der Toskana hatte.
Das Jahrhundert endete mit einem Bild, das um die Welt ging. Es war am 26. September 1997 kurz nach 11 Uhr, als eine starke Erdbebenwelle Assisi und die umliegende Gegend erschütterte. Das Gewölbe der Basilica Superiore di S. Franceso, die Erdbeben seit über 800 Jahren standgehalten hatte, stürzte erschütternd ein und tötete vier Menschen. Eine ungeheure Tragödie für die Menschheit, eine weiterer der wiederkehrenden schwarzen Zeitabschnitte der kleinen Stadt, die seit Jahrtausenden auf dem Gipfel eines Hügels steht und sich immer wieder erholt hat und immer wieder erholen wird.