Wer nicht mehr länger durch die überfüllten Straßen Assisis spazieren möchte, für den gibt es einen Ort außerhalb der Stadt, an dem „besichtigen“ nicht nur „beobachten“ und mehr oder weniger Informationen erhalten bedeutet. Diesen Ort zu besuchen bedeutet dank seiner Geschichte, Position und Atmosphäre ein einzigartiges Erlebnis rundum „wahrzunehmen“. Das Leben ist hier weit ruhiger als außerhalb. Die Gerüche und Geräusche, die wahrzunehmen sind, entsprechen genau jenen von vor 800 Jahren. Es wird schnell klar, dass im Eremo delle Carceri, gut fünf Kilometer vom Zentrum in Richtung Berg Monte Subasio entfernt, der Frieden, die Betrachtung und die Spiritualität, die in den Räumen der Franziskaner im Mittelalter wahrzunehmen waren, so wirklich wie an keinem anderen Ort sind.
In der Antike wurde mit dem lateinischen Wort carceres nicht nur ein Ort der Strafe, sondern auch ein Ort des Rückzugs, der Buße und der Einsamkeit bezeichnet. Genau das machten Franziskus und seine Mitbrüder, als sie die kleine Cappella di S. Maria (Kapelle zur Hl. Maria) erreichten und sich in die natürlichen Grotten und Schluchten zurückzogen, die ihnen die Bergwelt dort in der Nähe bot, um zu beten und zu meditieren. Nur die Kapelle wies ursprünglich auf diesen Ort hin. Sie wurde Franziskus – wie auch der Rest der Porziuncola – von den Benediktinermönchen der Gegend Subasio geschenkt. Später errichteten die Ordensbrüder dort in der Nähe einen kleinen Gebetsraum, und im 15. Jahrhundert wurde nach Anordnung des Ordensvorstandes S. Bernardino da Siena (Hl. Bernhardin von Siena) aus der kleinen Kapelle eine – ebenfalls kleine, jedoch besser strukturierte – Kirche und der dreieckige Kreuzgang, der auf das Tal und die waldige Rückwand des Berges hin ausgerichtet ist wurde hinzugefügt.
Im Lauf der Zeit fügten die Franziskaner, die Eremo seit jeher verwalteten, dem kleinen Komplex weitere Bauten hinzu. So nahm das Gebäude im 19. Jahrhundert seine endgültige Form an. Die Regel, nach der die Brüder einfache und unbearbeitete Gebäude errichten mussten, einerseits, und ihr Einfallsreichtum und ihre Kreativität andererseits, ermöglichten die Errichtung dieses außergewöhnlichen Komplexes, der sich teilweise vom ihn umgebenden Felsen abzuheben und teilweise damit zu verschmelzen scheint.
Heute können die originalen Räumlichkeiten wie die Kapelle, der Gebetsraum und die Grotten, die Franziskus und seine ersten Mitbrüder nutzten, um dort ihre Momente der Einsamkeit und Meditation zu verbringen, besichtigt werden. Die Grotta di Francesco (Grotte des Hl. Franziskus), die erste beim Hinabgehen zur Kapelle, die in den Wald hineinführt, enthält nur zwei „Einrichtungsgegenstände“, die selbstverständlich auch aus Stein bestehen: eine ebene Fläche, die zum Schlafen genutzt wurden, und ein Felsblock, der wahrscheinlich als Sitzgelegenheit diente. Ein kleines Loch im Boden der Grotte weist traditionsgemäß auf die Stelle hin, in der der Teufel verschwand, nachdem er mehrmals versucht hatte den Heiligen zu verführen. Außerhalb der Grotte windet sich ein Steig zu den jahrhundertealten Steineichen. Entlang dieses Steiges sind noch weitere historische Grotten zu finden, in die sich Leone, Egidio, Silvestro, Bernardo da Quintavalle und Andrea da Spello zum Beten zurückzogen. Eine der ältesten Steineichen, die mit einem Schild gekennzeichnet ist, das auf die Ära von Franziskus zurückgehen könnte, wurde in der Vergangenheit als der Baum der berühmten Vogelpredigt gekennzeichnet. Dabei handelt es sich um eine Episode aus der Heiligengeschichte von Franziskus, die ihn würdigt, zusammen mit der Komposition des Sonnengesangs, der so erscheint, als wäre Franziskus der erste Mensch auf Erden gewesen, der die Prinzipien des Umweltschutzes und des Respekts gegenüber der Natur verbreitet hat.
Heute wissen wir, dass die Predigt nicht nur einmal erfolgte, sondern mehrmals an verschiedenen Orten. Historische Quellen bezeugen, dass die am nächsten zu Assisi gelegene Predigt nicht bei Eremo delle Carceri, sondern in der Umgebung von Cannara, einem kleinen Ort am Fuß des Gebirges, stattfand. Weiter über den Steig verbindet eine Brücke zwei Vorsprünge des Felsens. Zwischen diesen Vorsprüngen liegt ein tiefer Graben. Der Legende zufolge beherbergte der Graben ursprünglich einen Wasserlauf, den Franziskus mit der Hilfe Gottes trockengelegt hatte, denn er störte die Meditation. In Wirklichkeit haben einige Studien gezeigt, dass aufgrund der Beschaffenheit des Karst dieses Gebirges die oben am Berg gelegene Quelle immer wieder unterbricht und im Durchschnitt alle 20-30 Jahre wieder zu fließen beginnt. Die Volkstradition bringt solche Ereignisse mit einigen Unheilen im Lauf der Jahre in Verbindung und sieht das erneute Fließen der Quelle als ein unheilvolles Vorzeichen an. Auf der anderen Seite der Brücke gelangt man zur Cappella di Santa Maddalena (Kapelle zur Hl. Magdalena), unter der im Jahr 1477 Barnaba Manassei, ein Franziskaner, der die Monti die Pietà – Kreditinstitute, die zum ersten Mal auch den ärmsten Staatsbürgern zugänglich waren – ernannt hatte, begraben wurde.
Eremo delle Carceri ist ein Ort komplexer Verflechtungen, der allen Besucher die Möglichkeit eines einzigartigen Erlebnisses, der weit über eine touristische Besichtigung hinausgeht, bietet. Geschichte verschmilzt mit Legende, Natur umhüllt Spiritualität und vor allem vereint sich die Vergangenheit mit der Gegenwart. Die Realität, die inner- und außerhalb der kahlen und strengen Mauern verborgen liegt, ist seit Jahrhunderten gleich. Beim Beobachten des Lebens, das ein Ordensbruder heute im Eremo führt, bekommt man einen weltweit seltenen und wertvollen Einblick in die Vergangenheit, um zu verstehen, wie Franziskus die Regel für sein Leben hier wie folgt festgelegt hat:
[136] Coloro che vogliono condurre vita religiosa negli eremi, siano tre frati o al più quattro. Due di essi facciano da madri ed abbiano due figli o almeno uno. I due che fanno da madri seguano la vita di Marta, e i due che fanno da figli quella di Maria.
[137] E questi abbiano un chiostro, nel quale ciascuno abbia una sua piccola cella, nella quale possa pregare e dormire. E sempre recitino compieta del giorno, subito dopo il tramonto del sole, e cerchino di conservare il silenzio e dicano le ore liturgiche e si alzino per il mattutino, e prima di tutto ricerchino il regno di Dio e la sua giustizia. […] E quei frati che fanno da madri procurino di stare lontani da ogni persona e, per obbedienza al loro ministro, custodiscano i loro figli da ogni persona, così che nessuno possa parlare con essi. E questi figli non parlino con nessuna persona se non con le loro madri e con il ministro e il loro custode, quando piacerà ad essi di visitarli, con la benedizione del Signore Iddio.
[138] I figli però talora assumano l’ufficio di madri, come sembrerà loro opportuno disporre per un necessario avvicendamento, e cerchino di osservare con attenzione e premura tutte le cose sopraddette. […]
(Fonti Francescane, Regola di Vita negli eremi)
Unser Tipp? Kaufen Sie sich eine Landkarte mit den Wanderwegen am Berg Monte Subasio nehmen Sie außerhalb des östlichen Ortsteils von Assisi einen der zahlreichen Wege im Park, die nach Eremo führen. Der anstrengende Aufstieg wird die Schönheit dessen, was Sie umgibt, nicht beeinträchtigen. Im Gegenteil: Sobald Sie das Ziel wie tausende Menschen vor der Errichtung der Asphaltstraße im vergangenen Jahrhundert schon vor Ihnen, wird alles noch authentischer wirken.